Kochen und Musik haben vieles gemeinsam. Beim Kochen haltet man sich ans Rezept, beim Musizieren an die Partitur. Und trotzdem wird jeder Mensch das Rezept oder Musikstück anders interpretieren, auch wenn er genau die gleichen Zutaten oder die gleichen Noten vor sich hat. Beim Sprechen ist es genauso: auch wenn die Worte, die wir sagen, immer die gleichen sind, so können wir sie auf unterschiedliche Weise ausdrücken. Außerdem können sowohl Essen als auch Musik intensive Gefühle auf einer Ebene vermitteln, die man nicht leicht in Worte fassen kann.

Überraschend daher, dass diese beiden Welten gerade in Italien nicht so oft miteinander verbunden werden, wie man es erwarten würde. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sowohl die Küche als auch die Musik einen so hohen Stellenwert in der italienischen Geschichte einnehmen.
Meine Idee einer Sammlung von „gesungenen Rezepten“ liegt schon ein paar Jahre zurück. Seit einiger Zeit hatte ich nach einer Möglichkeit gesucht, meine beiden großen Leidenschaften zu verbinden. Mittlerweile hatte sich in Wien – wo ich seit einigen Jahren lebe – herumgesprochen, dass ich neben meiner Arbeit als Privatkoch auch noch Musik mache (in gewisser Weise ist es das banalste Klischee des italienischen Auswanderers, der kocht und singt), und mehrmals wurde ich gebeten im Radio über das Kochen zu sprechen und zu singen.

Aber es gibt nur wenige echte Lieder, die man über Essen und Kochen singen kann. Es gibt eine sehr reiche Tradition von Volksliedern, oft im Dialekt, die mit Volksfesten und der bäuerlichen Welt verbunden sind. Aber im Songwriting, das mich mehr interessiert, gibt es nicht viele Anknüpfungspunkte.
Da ist einerseits Un gelato al limon des großen Paolo Conte (eine Metapher an die Unsicherheit einer aufkeimenden Liebe, die, wie ein Zitroneneis im Sommer, schnell gegessen werden muss, bevor es schmilzt); Da ist andererseits das außergewöhnliche Il vino von Piero Ciampi (ein bitteres, selbstironisches Lied über den Wein als göttlichen Nektar und zugleich gefährliche Weltflucht); Und da ist das brillante Na tazzulella e cafè von Pino Daniele (der aus dem neapolitanischen Ritual des Kaffees eine bissige, aber leichte Gesellschafts- und Politikkritik gemacht hat).



Kürzlich hat Vinicio Capossela (der schon mit Il ballo di San Vito alle Speisen der traditionellen Volksfeste mithilfe des Taranta-Rhythmus in den Mittelpunkt gestellt hat), mit seinem erfolgreichen Album Le canzoni della cupa der volkstümlichen Tradition des italienischen Südens eine neue Bedeutung verliehen und das schöne Lied Nachecici geschrieben, in dem er „Chi muore muore/Chi campa campa/E nu‘ piatto di maccaruni cu‘ la carna“ („Wer stirbt, der stirbt. Wer lebt, der lebt. Und am Ende gibt es einen Teller Makkaroni mit Fleisch“, also Fleisch als Traum vom Überfluss…), zu dem später das sehr witzige Il testamento del porco (Das Testament des Schweins) dazu kam.

Außergewöhnlich ist auch Peppe Voltarellis Geschichte Mangiare (eine kleine Zusammenfassung der Besessenheit vom Essen als Teil eines in gewissem Sinne erstickenden Wertesystems, typisch für Süditalien), allerdings völlig außerhalb der Liedform. Kurz gesagt, es gibt nur sehr wenige und sehr spezielle Lieder, die über Essen mit mindestens so viel Intensität sprechen, wie wir einem Gericht zuschreiben, wenn wir es essen.
Dann erzählte mir eine befreundete Musikerin, Ingrid Schiller, die auf ihren CDs viele italienische Lieder singt, von ihrer Leidenschaft fürs Zeichnen und Malen. Um italienische Lieder für das deutschsprachige Publikum verständlich zu machen, hatte sie begonnen, Tafeln zu verwenden, auf denen sie ihre Illustrationen zeigte. „Mach das doch auch! Du bist ein Koch und ein Musiker, warum machst du nicht eine CD mit gesungenen Rezepten?“.
Das Projekt ist noch in vollem Gange, aber die ersten Songs über Essen sind schon da. Manchmal sind es wirklich gesungene Rezepte, wie Lo spaghettino al pomodoro oder La resa al risotto. Kürzlich wurde ich aber für eine Radiosendung über Artischocken interviewt (denen ich ein 2016 erschienenes Buch gewidmet habe) und wurde gebeten, etwas zu spielen. So habe ich mich schließlich entschieden, ein Lied über mein Lieblingsgemüse zu schreiben: Il carciofo
Laden Sie hier den Liedtext, auf Italienisch mit deutscher Übersetzung, des Songs „Il carciofo“

- Vielen Dank an Gerda Genzl für ihre Hilfe bei der Verbesserung meines Deutsch.